Gestern bekamen wir die Nachricht, daß der Tumormarker einer nahen Verwandten trotz Chemo und Verkochung der Metastasen gestiegen ist, was die Ärzte als eindeutiges Zeichen dafür nehmen daß die Therapie nicht mehr anschlägt, da der Wert nach einer solchen Behandlung bisher immer stark gesunken war.
Die Chemo unter diesen Umständen weiter zu machen, macht laut ihren Ärzten keinen Sinn – aber sie sagen auch, daß es “sehr schnell” mit ihr zu Ende gehen wird, sobald sie die Behandlung absetzt. Boooooom.
Auch wenn schon direkt nach der Diagnose klar war daß ihre Erkrankung nicht heilbar ist, ist es doch nochmal etwas anderes, dem Abgrund und dem Ende plötzlich so nahe gegenüber zu stehen und hinab zu blicken.
Was liegt vor ihr, wie wird ihr Ende sein? Wie lange wird sie dahinsiechen bis zu ihrer Erlösung, wird sie starke Schmerzen haben?
Ich habe das alles schon mal durch, mit meiner Mutter, die ich bis zu ihrem Tod gepflegt habe – da war ich gerade mal 22.
Also saß ich gestern auf dem Sofa und heulte, voller Trauer und Sorge was sie erwartete, und voller Schmerz darüber, was ich verlieren würde.
Zum Glück war ich nicht allein – mein Freund tröstete mich nicht nur liebevoll, sondern ließ mir auch ein Bad ein, inklusive Kerzen und Lichterkette und warmen Tee.
Und dann lag ich da im warmen Wasser, und plötzlich ging es mir von Minute zu Minute besser. Die Situation war immer noch die selbe wie noch einige Minuten zuvor – aber mein DENKEN über die Situation hatte sich komplett geändert, und daraus resultierend auch meine Gefühle. Die Änderung der Wahrnehmung ändert einfach alles, es ist immer wieder aufs Neue ein Wunder.
Ich bin eine absolute Anhängerin von “practise what you preach”, und ich gebe an meine Patienten und Klienten nur weiter, was ich auch selbst lebe – darum war ganz schnell klar woran ich mich erinnern musste , damit es mir wieder besser ging:
*Annehmen was ist – Die Situation ist wie sie ist. Sie wird sterben, und es wird nicht mehr lange dauern. Das ist so, und ich kann nichts dagegen tun.
*Den Widerstand aufgeben – Wenn ich wirklich annehme daß die Sitaution ist wie ist, egal wie sehr ich sie verteufle und nicht will, dann gebe ich innerlich den Widerstand dagegen auf, und das macht alles leichter. Weil ich dann in meiner Kraft bleibe und klar denken kann, und mich nicht im inneren Kampf gegen Windmühlen verliere.
*Wir haben immer eine Wahl – Ich kann zwar nichts dagegen tun daß sie stirbt, aber ich kann sehr wohl entscheiden wie ich darauf reagiere und wie ich mit der Situation umgehen will. Das ist die Wahl die wir IMMER haben; die größte Chance und der größte Segen.
*Mich nicht mitreißen lassen von meinen Emotionen – Natürlich sind Trauer, Angst und Sorge in einer solchen Situation absolut angemessen und berechtigt, und es geht auf keinen Fall darum, sie zu verdrängen oder wegzusperren. Aber ich muss mich von ihnen nicht mitreißen und in einen Strudel ziehen lassen – ich kann präsent bleiben und wahrnehmen was ist. Die Gefühle sind zwar da und dürfen es auch, aber ich bin nicht meine Gefühle. Ich bin ich, und ich bin größer und stärker als jedes Gefühl.
*Das Gesetz der angewandten Cleverness / Ein Hoch auf den Pragmatismus – Sie wird sterben, ob es mir nun gut geht oder schlecht – das ändert an der Situation an sich rein gar nichts. Wenn es mir gut geht kann ich allerdings viel besser für sie da sein, bleibe in meiner Kraft und kann meine Ressourcen viel besser nutzen – es ist also absolut schlau, mich dafür zu entscheiden daß es mir gut geht. Mich schlecht zu fühlen ändert rein gar nichts an der Situation, macht nichts besser, im Gegenteil – es raubt mir nur Kraft und Energie, und schwingt mich in einen Zustand, in dem ich keine große Hilfe mehr bin.
*Ich entscheide, wie es mir geht – … und zwar völlig unabhängig von den äußeren Umständen!
Wir sind so darauf trainiert, innerlich in bestimmter Weise auf äußere Geschehnisse zu reagieren, daß uns meist gar nicht in den Sinn kommt daß es noch andere Möglichkeiten gibt. Ich MUSS nicht völlig am Ende sein, “nur” weil sich mein Partner von mir getrennt hat oder ich pleite bin; ich MUSS nicht völlig am Ende sein, “nur” weil jemand stirbt (vor allem nicht dann, wenn er noch gar nicht gestorben ist).
Das klingt vielleicht erstmal komisch und auch ein wenig ketzerisch, aber tatsächlich gibt es zwischen dem was passiert und dem wie wir uns fühlen keine unabänderlichen Bedingungen; kein festgeschriebenes “Wenn-Dann” – sondern ich kann entscheiden daß es mir gut geht, TROTZ des Schmerzes, der Wut und der Trauer, die die Situation mit sich bringt.
Denn ganz ehrlich: Wenn ICH entscheide daß es mir gut geht, egal was im Außen passiert – wer sollte mich dann davon abhalten, mich gut zu fühlen?! Das kann niemand – kein Mensch, kein Umstand, keine miesen Gefühle.
*Das Kopfkino entlarven – Alles was man sich in so einer Situation vorstellt, all die inneren Filme dessen wie es wohl weitergehen und sein wird, sind nichts als Spekulation. Denn wir wissen es einfach nicht, niemand weiß das – und das eigene Kopfkino produziert, wenn man es nicht bewusst daran hindert, meist die allerdüstersten Horrorszenarien. Aber es ist überhaupt nicht gesagt daß es tatsächlich so kommt; und wenn ich zulasse daß ich mich jetzt und hier schlecht fühle, wegen etwas das so vielleicht nie eintritt, dann ist das wie Zinsen zahlen für Schulden die ich nie machen werde.
*Im Hier und Jetzt leben – Hier und heute ist alles noch genauso wie vor dieser schlechten Nachricht. Es hat sich nichts geändert, außer in meinem Kopf natürlich, durch das wie ich die Neuigkeiten verarbeite und was ich daraus mache. Aber ganz real und wirklich ist alles immer noch wie vorher. NOCH ist sie lebendig, NOCH vegetiert sie nicht dahin und leidet schlimmste Qualen. NOCH ist sie da und muss mir nicht fehlen; NOCH muss ich meinen Tagesablauf nicht komplett umstellen um sie zu pflegen und für sie da sein zu können. WENN es irgendwann so weit ist, dann kann ich immer noch gucken wie ich darauf reagiere und wie ich mich dann fühlen möchte und werde – aber vielleicht kommt es auch alles ganz anders; vielleicht wird es viel friedlicher und sanfter als sie es sich ausmalt, und vielleicht erlebe ich es auch gar nicht mehr, weil ich morgen von einem Laster überfahren werde und vor ihr sterbe.
Man weiß es alles nicht, und darum ist das Einzige wonach wir uns richten können immer nur der jetzige Moment. In diesem jeweiligen Moment zu tun was zu tun ist, und sich ansonsten nicht allzu sehr beeindrucken zu lassen – das ändert schon so viel.
*Gedanken werden Dinge – Nach dem Gesetz der Resonanz ziehen wir die Dinge unser Leben und vermehren sie, auf die wir unsere Aufmerksamkeit richten – es wäre also absolut fahrlässig, mich in meinen Schmerz und meine Angst reinfallen zu lassen, und mir auszumalen wie schlimm alles werden wird. Ich lehne dankend ab und konzentriere mich stattdessen lieber auf den Zustand, wie ich ihn haben will. Einen Zustand, in dem ich allzeit in der Liebe bin, egal was auch geschieht.
★★★★★★
Und nachdem ich mich an all das erinnert hatte, stieg ich aus der Wanne und war wieder ganz bei mir.
Ich bin unendlich dankbar daß ich all diese Dinge weiß, weil sie mich so stark und handlungsfähig machen, und jede Situation leichter. Und ja, sie erfordern Übung, keine Frage, und man muss sich immer wieder neu auf sie einlassen – aber sie funktionieren, immer.
Vielleicht hast Du ja Lust sie in der nächsten herausfordernden Situation mal auszuprobieren, und einen neuen Weg einzuschlagen – das würde mich wahnsinnig freuen. ♥
Alles Liebe und bis bald
Inga